Hämophilie-Therapie heute
Die Behandlungsmöglichkeiten der Hämophilie werden ständig weiter entwickelt
Behandlungsmöglichkeiten der Hämophilie2,3
Viele Hämophilie Betroffene benötigen regelmäßige Infusionen, über die ihnen Ersatz-Gerinnungsfaktoren zugeführt werden (Faktorsubstitution).1 Der Grund dafür ist, dass Betroffene mit schwerer bis mittelschwerer Hämophilie weniger als 1% bzw. bis 5% der normalen Faktorspiegel haben, verglichen mit 40% bis 150% bei Menschen ohne Hämophilie.4-7 Um annähernd normale Faktorspiegel aufrecht zu erhalten, benötigen die Betroffenen Infusionen mit Faktorsubstitutionsprodukten. Je nach vorliegenden Faktorspiegel benötigen manche sogar jeden zweiten Tag eine Infusion.1
Die Behandlungsmöglichkeiten der Hämophilie wurden ständig verbessert und die Symptome werden immer besser beherrschbar, während gleichzeitig die Häufigkeit der Faktorgaben abnimmt. So wurden zum Beispiel Produkte mit verlängerter Halbwertszeit (EHL für engl. Extended Half-Life) eingeführt, die weniger häufig infundiert werden müssen.1
AKTUELL VERFÜGBARE MEDIKAMENTÖSE BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
Wussten Sie es?
Wirkungsweise von Hämophilie-Therapien
Ersatz (Substitution) von Gerinnungsfaktoren: Wie wirkt das?
Menschen ohne Hämophilie haben Gerinnungsfaktor-Werte in Höhe von 40% bis 150% der Norm. Das ist deutlich mehr als bei Betroffenen mit mittelschwerer (1-5%) oder schwerer (unter 1%) Hämophilie.4-7 Um sicherzustellen, dass Betroffene über ausreichend Gerinnungsfaktoren verfügen und damit Blutungen zu verhindern, erhalten Betroffene mit Hämophilie A regelmäßig eine Infusion mit dem Gerinnungsfaktor VIII bzw. bei Hämophilie B mit Faktor IX.5
Die Gerinnungsfaktoren werden von Zellen in der Leber gebildet.15 Wenn Hämophilie Betroffene eine Faktorsubstitutionstherapie erhalten, wird der Gerinnungsfaktor direkt ins Blut gegeben; das Blut kann nun bei Verletzungen normal gerinnen.5,6 Diese Fähigkeit zur Blutgerinnung kann nur durch regelmäßige Zufuhr der fehlenden Gerinnungsfaktoren in das Blut aufrechterhalten werden, den leider werden die Gerinnungsfaktoren im Blut relativ rasch abgebaut oder verbraucht. Ohne „Nachschub“ aus Leber bzw. Injektion fällt die jeweilige Faktorspiegel alle 8-12 Stunden (Faktor VIII)16 bzw. 18-24 Stunden (Faktor IX) um die Hälfte ab.1 Das ist der Grund, warum die Leberzellen ständig neue Gerinnungsfaktoren bilden müssen und Menschen mit Hämophilie so häufige Infusionen zur Faktorsubstitution benötigen. Der Behandlungsplan für die Faktorsubstitution hängt sowohl von der Hämophilie-Form (A oder B) als auch vom Schweregrad der Hämophilie ab.5,6
Weiterentwicklung der Hämophilie-Therapie
Heute stehen den Patienten mehrere unterschiedliche Behandlungen zur Verfügung und weitere befinden sich in der Entwicklung2,3
Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an die begrenzten Behandlungsmöglichkeiten, die Hämophilie Betroffene noch vor wenigen Jahrzehnten hatten. Bis in die Mitte der 1960er-Jahre, als Dr. Judith Pool entdeckte, wie sich Gerinnungsfaktoren aus mehreren Blutspenden zusammenführen ließen, betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei Hämophilie lediglich 20 Jahre.12
Seit dieser Zeit hat sich die Behandlung enorm gewandelt.1 Heute sind die Betroffenen nicht mehr auf Blutspenden angewiesen,5,12 und Produkte mit verlängerter Halbwertszeit ermöglichen ihnen mehr Freiheit und flexiblere Behandlungspläne.16,17 Aber auch wenn sich die Behandlung so enorm weiterentwickelt hat, werden auch heute noch neue Therapien entwickelt,2,3 um das Leben der Betroffenen weiter zu verbessern.18
Entwicklung der Hämophilie-Therapie über die Jahrzehnte
Vor der modernen Ära der Hämophilie-Therapie gab es keine zuverlässigen Behandlungsmöglichkeiten. Stattdessen erhielten Betroffene im Fall von Blutungen Vollblut-Infusionen, deren Gehalt an Ersatz-Gerinnungsfaktoren jedoch nicht ausreichte. Zum Glück wurden die Behandlungen in kleinen Schritten ständig weiterentwickelt, so dass die meisten Betroffenen heute ein wesentlich freieres und aktiveres Leben führen können.5
1964
Entdeckung einer Methode zur Isolierung von Gerinnungsfaktoren
Dr. Judith Pool entdeckte, dass der bei der Hämophilie A defekt Faktor VIII, ist, die letzte Plasma-Komponente ist, die nach dem Einfrieren auftaut. Diese Entdeckung war ein Durchbruch und ermöglichte es, Gerinnungsfaktoren von mehreren Spendern zu isolieren und zusammenzuführen, um auf diese Weise Gerinnungsfaktorpräparate mit höherer Konzentration zur Verfügung zu haben.19 Dadurch stieg die mittlere Lebenserwartung auf 24 Jahre an.12
1976
Entwicklung von stabilen Gerinnungsfaktor-Konzentraten
Dr. Nilsson veröffentlichte als erste ein Verfahren, mit der sich Gerinnungsfaktor-Konzentrate in Pulverform herstellen ließen. Nun konnten Menschen mit Hämophilie ihr Arzneimittel selbst aufbewahren und sich die Gerinnungsfaktoren zu Hause verabreichen. Die Zahl nötiger wöchentlicher Fahrten ins Krankenhaus nahm ab.5,9
1970er - 1980er
Eine düstere Phase der Hämophilie-Therapie — die Blutprodukte sind kontaminiert
Ab den frühen 1970er-Jahren infizierten sich viele Hämophilie Betroffene nach Transfusion eines Faktorkonzentrats mit Hepatitis-Viren.5,20 In den frühen 1980er-Jahren wurde in den Blutprodukten HIV nachgewiesen;5,13Durch die Einführung Virus-inaktivierender Verfahren, spezieller Reinigungsschritte und die Möglichkeit zur Testung der Spender und Spenderplasmen sind Faktorpräparate heute jedoch sehr sicher.13
1992 - 1999
Europa und die USA lassen die ersten gentechnisch hergestellten rekombinanten Faktor-Produkte zu
In Europa und der Vereinigten Staaten werden die ersten gentechnisch hergestellte Faktor-Substitutionstherapien für die Hämophilie A und B zugelassen. Eine Versorgung der Betroffenen unabhängig von Plasmaspenden wird möglich.5,10,11
2014 - 2016
2014 - 2017
Studiendaten zu ersten Gentherapie-Produkten
2014 wurden die Ergebnisse der ersten klinischen Studie zu einer Faktor-IX-Gentherapie und 2017 die Ergebnisse zu einer Faktor-VIII-Gentherapie veröffentlicht.3,14
Zurück
Leben mit Hämophilie heute
Der wissenschaftliche Fortschritt hat die verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten revolutioniert. Es kann jedoch noch mehr getan werden, um den Betroffenen eine möglichst hohe Lebensqualität zu ermöglichen.
Weiter
Gentherapie
Entdecken Sie, welche Fortschritte die Wissenschaft in den letzten 50 Jahren erzielt hat. Diesen Fortschritten ist es zu verdanken, dass heute bereits zahlreiche Patienten mit genetischen und chronischen Erkrankungen von einer eine Gentherapie profitieren können.
References
- Srivastava A, Santagostino E, Dougall A, et al. WFH guideline for the management of hemophilia, 3rd edition. Haemophilia. 2020;00:1-158.
- Nathwani AC, Reiss UM, Tuddenham EGD, et al. Long-term safety and efficacy of factor IX gene therapy in hemophilia B. N Engl J Med. 2014;371:1994-2004.
- Rangarajan S, Walsh L, Lester W, et al. AAV5-Factor VII Gene Transfer in Severe Hemophilia A. N Engl J Med. 2017;377(26):2519-2530.
- Berntorp E, Fischer K, Hart DP, et al. Haemophilia. Nat Rev Dis Primers. 2021;7:45.
- National Organization for Rare Disorders (NORD). Rare Disease Database-Hemophilia B. Accessed October 27, 2021.
- National Organization for Rare Disorders (NORD). Rare Disease Database-Hemophilia A. Accessed October 27, 2021.
- University of Rochester Medical Center. Factor VIII. Accessed November 30, 2021.
- Mancuso ME, Santagostino E. Outcome of clinical trials with new extended half-life FVIII/IX concentrates. J Clin Med. 2017;6,39.
- Morfini M. The history of clotting factor concentrates pharmacokinetics. J Clin Med. 2017;6,35.
- European Medicines Agency (EMA). BeneFIX. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/benefix. Accessed November 30, 2021.
- European Medicines Agency (EMA). ReFacto AF. https:www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/refacto-af. Accessed November 30, 2021.
- Hemophilia Federation of America (HFA). Bleeding Disorders Historical Timeline. https://www.hemophiliafed.org/updated-historical-timeline/. Accessed November 10, 2021.
- New measures needed to protect U.S. blood supply from future threats posed by infectious diseases. [press release]. Washington DC, USA: The National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine. https://www8.nationalacademies.org/onpinews/newsitem.aspx?RecordID=4989. Published July 13, 1995.
- Nathwani AC, Tuddenham EGD, Rangarajan S, et al. Adenovirus-Associated Virus Vector-Mediated Gene Transfer in Hemophilia B. N Engl J Med. 2011;365(25):2357-2365.
- Heinz S, Braspenning J. Measurement of blood coagulation factor synthesis in cultures of human hepatocytes. Methods Mol Biol. 2015;1250:309-16.
- Ay C, Feistritzer C, Rettl J, et al. Bleeding outcomes and factor utilization after switching to an extended half-life product for prophylaxis in haemophilia A in Australia. Sci Rep. 2021;11(1):12967.
- Chhabra A, Spurden D, Fogarty PF, et al. Real-world outcomes associated with standard half-life and extended half-life factor replacement products for treatment of haemophilia A and B. Blood Coagul Fibrinolysis. 2020;31(3):186-192.
- Perrin GQ, Herzog RW, Markusic DM. Update on clinical gene therapy for hemophilia. Blood. 2019;133(5):407-414.
- Pool JG, Hershgold EJ, Pappenhagen AR. High-potency Antihaemophilic Factor Concentrate Prepared from Cryoglobulin Precipitate. Nature. 1964;203:312.
- Kasper CK, Kipnis SA. Hepatitis and clotting-factor concentrates. 1972;221(5):510.
- White GC. Hemophilia: an amazing 35-year journey from the depths of HIV to the threshold of cure. Trans Am Clin Climatol Assoc. 2010;121:61-75.
- European Medicines Agency (EMA). Elcota. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/elocta. Accessed October 30, 2021.
- European Medicines Agency (EMA). AlprolIX. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/alprolix. Accessed October 30, 2021.
Haben Sie eine medizinische Frage? Wenden Sie sich an unsere Abteilung “Medizinische Information”
Vielen Dank für Ihre Anfrage, die wir in Kürze beantworten werden!